Kapitel 5 "Stille"
Wir waren wie Freunde.
Wie Liebende.
Wie Geschwister.
Wir waren irgendwie alles füreinander.
Alles, was wir in diesem Moment zu kennen glaubten.
Mit Höhen und Tiefen, mit Ängsten und Wünschen.
Wir waren da - wenn wir uns brauchten.
Wir waren unser erster Gedanke beim Aufwachen und der letzte beim Einschlafen.
Doch etwas veränderte sich.
Ich konnte damals nicht sagen was es war, aber ich spürte, dass ich den Zugang zu Dir verlor.
Du warst da - aber immer weniger greifbar.
Du schienst mir zuzuhören - aber Du hast mich nicht mehr verstanden.
Es wurde zwischen uns lauter, obwohl es längst leiser wurde.
Wir stritten, aber am Ende wussten wir nicht mehr warum.
Vielleicht gerade deshalb.
Wir konnten uns nicht mehr verstehen.
Wir sprachen, aber die Worte kamen anderes an, als sie gemeint waren.
Wir verloren uns…
Es wurde still.
Es war ein Abend wie viele zuvor.
Laut und doch leise.
Ich konnte Dich nicht mehr verstehen - obwohl Du viel sagtest.
Ich war an diesem Abend überraschend ruhig, verständnisvoll.
Irgendetwas in mir wollte einfach nicht mehr kämpfen – vielleicht, um nicht mehr Recht zu haben. Es war nicht mehr wichtig.
Ich gab nach - und war Dir nicht böse.
Ich ging schlafen. Mein Tag war zu viel, Du warst zu viel. All die Streitereien um Ansichten waren zu viel.
Du kanntest meinen Tagesablauf und wusstest dass ich nichts mehr lesen würde.
Ich schlief ein im Unverständnis. Zu Dir, zu mir – zu der ganzen Welt.
Doch ich wurde wach. Wie oft in der Nacht.
Ich nahm mein Handy - viele Nachrichten von Dir.
Wie immer...
Aber bei genauerem Hinschauen war es überhaupt nicht wie immer.
Es war anders!
Es war klar!
Nicht verschwommen, nicht lückenhaft, nicht zusammenhanglos, so wie in den letzten Wochen.
Ich spürte eine Präsenz, die ich vorher nie gespürt hatte. Eine Klarheit, die ich nicht einordnen konnte. Ein bewusstes Wissen, das ich nicht verstand – noch nicht.
Du schriebst als wärst Du jemand anderes.
Aber es war nun still.
Die letzte Nachricht lag eine Stunde zurück. Also solltest Du nun endlich schlafen…
und so schlief auch ich wieder ein - mit einem merkwürdigem Unwohlsein.
Am nächsten Morgen war alles ruhig. Keine Nachricht von Dir, wie ungewöhnlich.
Ich hielt kurz inne - vielleicht schläfst Du einfach endlich mal aus. Du hast dem Schlaf ja kaum noch Bedeutung beigemessen.
Doch dann warst Du endlich „online“. Das beruhigte mich, obwohl du nichts geschrieben hattest. Ich schrieb dir - aber Du antwortetest nicht.
Okay, Du brauchtest wohl Zeit.
Zeit, um Dich wieder zu finden. Und vielleicht auch mich.
Doch ich wurde ungeduldig.
Ich versuchte Dich auf allen erdenklichen Wegen zu erreichen.
Du schienst stur - aber auch so kannte ich Dich ja.
Ich verfolgte Deinen „Online - Status“ und wartete einfach ab.
Ich wusste: Du würdest Dich melden…
Mittlerweile wurde ich wütend.
Ich verstand nicht, warum Du dich nicht meldest - obwohl Du doch am Sonntag morgen noch „online“ warst.
Also fuhren wir an dem Abend zu dem Haus, in dem sich Deine Wohnung befand.
Wir stiegen aus, wollten klingeln – und Deine Vermieterin stand in diesem Moment in der Haustür. Sie fragte uns zu wem wir wollten.
Ich sagte ihr: Zu Dir.
Ihre Antwort war merkwürdig, zumindest im Nachhinein betrachtet.
Sie sagte wörtlich: „Ob der wohl aufmacht?!“
Ich fühlte mich von ihr getriggert - und klingelte.
Wieder und wieder.
Aber niemand öffnete.
Ich verstand nicht warum Du auf mich sauer sein solltest.
Wir fuhren wieder nach Hause.
Der nächste Tag brach an. Du warst mittlerweile seit Sonntag morgen nicht mehr im Internet aktiv.
Nun machte ich mir ernsthafte Sorgen.
Ich war bei der Arbeit - und konnte nichts tun.
Ich kannte weder Deine Eltern, noch Deine Freunde.
Also suchte ich im Internet. Nach langem Suchen fand ich einen Deiner Freunde.
Ich rief ihn an.
Er wohnte in der Nähe und hatte einen Schlüssel - das wusste ich von Dir.
Er zeigte leider nicht viel Verständnis, als ich ihn bat, nach Dir zu schauen.
Er sagte, er wollte da nicht allein hinein.
Ich antwortete mit Unverständnis: „ Ich komme nach der Arbeit. Dann gehe ich nach ihm sehen“.
Kurz drauf kam der Anruf, der mein Leben für immer veränderte…
Dein Freund hatte sich nun doch durchgerungen zu deiner Wohnung zu gehen.
Nachdem er angekommen war rief er mich an, und berichtete, was er sah, nachdem er die Tür geöffnet hatte und ins Treppenhaus ging..
Mir schnürte es die Luft ab.
Überall war Blut – an der Treppe, an den Wänden, sogar an Deiner Wohnungstür...
Ich rief ihm verzweifelt, fast panisch zu:
„ Geh rein!“
„ Ruf die Polizei!“
Ich war ohnmächtig.
Hilflos.
Ich konnte aus der Entfernung nichts tun.
Es wurde wieder still.
Nach endlosem Warten kam der Anruf, der mir den Boden unter den Füßen wegriss.
Was alle zu dieser Zeit schon geahnt hatten, wurde zur grausamen Realität.
Du warst gegangen.
Auf eine Weise, die mir jedes Verständnis nahm.
Eine Weise, die sich unauslöschlich in mich einbrannte.
Der Schmerz der mich in diesem Moment durchdrang übertraf alles, was ich mir je hätte vorstellen können.
Und dann kam: Stille.
Diese besondere Art von Stille - in der jedes Wort zu viel,
jeder Atemzug zu schwer
und jeder Gedanke zu unerträglich ist.
Ich war wie betäubt.
WARUM ?
Diese Fragen sollten mir vielleicht bald beantwortet werden. Wenn auch nicht durch die Polizei...
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